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Das Schlachtefest

von Andreas Lindemeier

Wenn das Schwein am Haken hängt,
wird der Erste eingeschenkt.
Hängt es dann gespalten, breit,
ist es für den Zweiten Zeit.
Geht der Fleischer ans Kotelett,
wäre schon der Dritte nett.
Der Fleischer legt die Schinken frei,
der 4. Schnaps ist auch dabei!
Die Wurst nun in der Brühe zischt,
jetzt wird der Fünfte angemischt.
Nun wollen wir den Fleischer loben,
drum wird der Sechste eingeschoben.
Der Meister nun die Würste macht,
an den Siebten wird gedacht!
Mit dem Achten wird begossen,
dass kein Fingerblut geflossen.
Nein sagt man zu 9 und 10,
denn sonst kann man nicht mehr stehen.
Gelohnt hat sich die ganze Mühe,
die Tante kriegt den Rest der Brühe
und eine Leberwurst geschenkt,
damit sie an das Schlachtfest denkt!
Da zwei Schnäpse übrig waren,
trinkt sie auch noch die beiden Klaren!
Die Tante froh, der Rest besoffen,
nur das Schwein hat’s hart getroffen!

Dieses schnapsbeseelte Gedicht von Helmut A. Pätzold schildert grob die Arbeitsschritte einer Hausschlachtung in der Mitte des 20. Jahrhunderts, wie sie auch in Hardegsen in vielen Familien stattgefunden hat.

Schlachtefest (Signatur li_1205)

Hausschlachtung 1960 im Hinterhof der Stubenstraße 4 bei Christian Lindemeier, der gerade den ersten Schnaps Hausschlachter Karl Bürke eingeschenkt hat.

Das Schlachten gehörte für viele Familien zum gewohnten Jahresablauf; wer schlachtete, konnte einen ausreichenden Vorrat an Nahrungsmitteln für das folgende Jahr anlegen. Zu den Voraussetzungen dafür gehörten ein Schweinestall am Haus, ein kleines Stück Land als Futterquelle für das Schwein und ein Kochkessel in der Waschküche.

Es ist heute fast unvorstellbar, wie in den engen Häusern etwa der Hinter- oder Stubenstraße Schweine gehalten werden konnten. In der Regel lag der Stall im Hinterhof, dicht beim Plumpsklo, denn beide nutzten eine gemeinsame Jauchegrube. Den anfallenden Schweinemist lagerte man in einer Ecke des kleinen Gartens oder auf einem Misthaufen im Hinterhof. Er wurde regelmäßig im Handwagen abgefahren und im Gemüsegarten oder Kartoffelacker untergegraben. Der Abtransport des Mistes erfolgte in der Regel durch den Hausflur, da die Häuser z.B. in der Stubenstraße keinen weiteren Zugang hatten.

Als nach dem Zweiten Weltkrieg viele Heimatvertriebene nach Hardegsen kamen und im Bereich der Sohnreystraße neue Häuser bauten, bekamen sie spezielle Zuschüsse, wenn sie auf ihrem neuen Grundstück einen Stall errichteten, um Tiere zur Selbstversorgung zu halten. Diese typische Grundstücksbebauung ist heute noch in der Sohnreystraße zu erkennen. Die ehemaligen Ställe werden inzwischen anderweitig genutzt.

Das ganze Jahr über fütterte man das Borstenvieh mit Küchenabfällen, Kartoffeln, Getreideschrot oder Eicheln, bis das Schlachtgewicht von ungefähr 150 kg erreicht wurde. Oft wurde es früher noch weiter gemästet. Je schwerer, desto fetter Wurst und Fleisch.
Ein Termin mit einem der örtlichen Hausschlachter war bereits Monate im Voraus vereinbart worden. Diese Spezialisten waren in der Hauptsaison von Dezember bis Februar von Montag bis Samstag fast täglich im Einsatz. Sie waren im Hauptberuf meistens Maurer. Da es im Winter auf dem Bau fast nichts zu tun gab und erst 1959 das Schlechtwettergeld als Lohnausgleich eingeführt wurde, sicherten sich die Maurer auf diese Weise ihr Einkommen. Gelernt hatten sie dieses Handwerk oftmals vom eigenen Vater oder Großvater. Bekannte Hardegser Hausschlachter waren in den 1950er- und 1960er-Jahren Heinz Tanz und Karl Bürke.

Ganz wichtig war es auch, den Fleisch- bzw. Trichinenbeschauer rechtzeitig zu bestellen und für den Nachmittag der Schlachtung einen Termin zum Schließen der Wurstdosen zu vereinbaren.
Wenn mit dem ersten Frost die kalte Jahreszeit anbrach, begannen die Vorbereitungen für die Hausschlachtung.

Die Wurstdosen wurden zum Befüllen fertig gemacht. Dazu wurde mit einer Maschine bei den eigenen, bereits benutzten Dosen ein kleiner Teil des oberen Randes abgeschnitten, damit der Deckel besser auflag. Durch Zusammenpressen von Deckel und Dose wurde so später alles luftdicht abgeschlossen. Diesen Service boten in Hardegsen die Familien Fischer in der Bahnhofstraße und Bethge, Seybold und Berkemann in der Langen Straße an.

Für die Wurstherstellung war es zentral, die notwendigen Zutaten wie Wurstebänder, Kunstdärme und vor allem die Gewürze zu besorgen. Dafür gab es fertige Gewürzmischungen, die in kleinen Tüten beispielsweise bei Spar in der Langen Straße Nr. 2 zusammengestellt und abgewogen wurden. Pökelsalz, Pfeffer, Piment, Majoran, Thymian, Kümmel, Gewürznelken, Senfkörner und Muskatnuss waren die beliebtesten Gewürze. Es durfte auch nicht vergessen werden, Bier und Schnaps zu besorgen.

Am Tag vor der Schlachtung musste die notwendige Ausrüstung bereitgestellt und gesäubert werden: Schlachtetisch, Mollen, Schneidbretter, Waschkessel sowie diverse Eimer. Hatte man selbst diese Gerätschaften nicht, stellte der Hausschlachter sie zur Verfügung. In diesem Fall wurde jemand am Nachmittag vorher mit dem Handwagen losgeschickt, sie dort abzuholen, wo der Hausschlachter gerade seinen Arbeitstag beendet hatte. Auch der Brühtrog, der sogenannte Brennetrog, der Fleischwolf und die Wurstpresse wurde auf diese Weise durch den Ort transportiert.

Bevor der Schlachter am frühen Morgen ins Haus kam, musste der Kessel in der Waschküche angeheizt werden, um heißes Wasser vorzuhalten.
Gegen 7 Uhr morgens schritt der Schlachter zur Tat. Unter seiner langen weißen Plastikschürze trug er diverse Messer im Köcher. Etliche Helfer_innen standen bereit, denn nur mit vereinten Kräften war die schwere körperliche Arbeit zu leisten.

Um die Hinterbeine des Schweines wurde ein Strick geknotet. Es wurde aus dem Stall geholt und an einen Mauerring im Hinterhof gebunden. Mit einem Bolzenschussgerät wurde das Schwein betäubt. Dann durchtrennte der Schlachter dem Tier die Halsschlagader. Das herausströmende Blut wurde in einer Molle aufgefangen und dabei ständig umgerührt, um die Gerinnung zur verhindern. Aus diesem Blut wurde Blut- bzw. Rotwurst herstellt.

Mit vereinten Kräften wurde das tote Schwein jetzt in den Brennetrog gehoben und von allen Seiten mit heißem Wasser übergossen. So ließen sich die Borsten am besten von der Schwarte lösen. »Wenn das Schwein im Troge ruht, tut ein Schnäpschen auch ganz gut,« lautete eine alte Schlachterweisheit.

Jetzt wurde das Schwein mit einem Flaschenzug oder wieder mit vereinten Kräften in die Höhe gezogen und an einer Leiter oder an einer Hauswand kopfüber aufgehängt.
Im nächsten Schritt wurde der Bauch aufgeschnitten, die inneren Organe, die Blase und Gedärme entnommen. Der Schlachter schnitt die einzelnen Därme in Stücke für die unterschiedlichen Wurstarten und säuberte sie in einer Salz-Essig-Lösung.
An diesem Punkt der Arbeit schaute der amtliche Fleischbeschauer auf das Schwein. Er prüfte unter dem Mikroskop, ob das Tier trichinenfrei ist und druckte den Freigabestempel auf das Fleisch. Erst danach konnte es weitergehen.
Während der Fleischbeschau wurde gefrühstückt. Es gab Brötchen mit Marmelade oder Käse und Zuckerkuchen.

Der Schlachter zerlegte nun das Fleisch in Unter- und Oberschale, Hüftstück, Schweinehals und -rücken, Bauchspeck und Filet, Rippchen, Koteletts und Schnitzel. Bevor es elektrische Kühlmöglichkeiten gab, konnte man Fleisch nur einpökeln, einkochen oder räuchern, um es für eine gewisse Zeit zu konservieren. Was dann noch übrig blieb, wurde zu Wurst verarbeitet.

Schlachtefest (Signatur li_1213)

Hier wird das Blut für die Rotwurst in den Trog gegossen und anschließend wurde die Masse geknetet.

Das Bauchfett, auch Flomen genannt, diente zur Herstellung von Griebenschmalz. Das Kochfleisch, also Kopf, Zunge, Bauchfleisch, Lunge, Magen, Milz, Herz und Nieren, kam zum Kochen in den Kessel. Der erste Teil des Schlachtetages war damit beendet. Alle Beteiligten trafen sich zum gemeinsamen Mittagessen. Auf den Tisch kamen kleine angebratene Filet- und Leberstücke, und zur Verdauung gab es einen Schnaps.

Danach war das Kochfleisch gar. Es wurde mit einer Schaumkelle aus dem Kessel gefischt und weiterverarbeitet. Die verbliebene Fleischbrühe im Kessel war sehr begehrt und wurde an die Nachbarn verteilt. In der fetten Brühe wurde oft Grünkohl zubereitet.

Die Kochwurst gart im Kessel

Am Nachmittag wurden die Stücke, die zu Wurst verarbeitet werden sollten, kleingeschnitten, durch den Fleischwolf gedreht, geknetet und gewürzt. Man presste sie in die Schweinedärme oder in zugekaufte Kunstdärme. Je nach Bedarf wurden Weißwurst (Knack-/Knappwurst), Leberwurst, Rotwurst, Sülze, Brägenwurst und Schwärchenwurst produziert. Diese Darmwurst wurde dann im Kessel gegart und dabei ständig im Blick behalten, damit sie nicht platzte. Die durchgegarte Wurst wurde mit einer Schöpfkelle aus dem Kessel geholt und zum Abkühlen in eine Zinkwanne mit kaltem Wasser gelegt.

Wenn Mettwurst hergestellt wurde, geschah dies mit größter Sorgfalt produziert, denn das war eine Rohwurst, die nicht abgekocht wurde. Der Schlachter formte die Masse zu großen Kugeln und warf diese in die Mettwurstmaschine, wo sie fest in den Darm gepresst wurde. Man achtete genau darauf, dass sich keine Hohlräume bildeten, in denen dann leicht Schimmel hätte entstehen würde. Die Mettwurst musste länger als andere Wurstsorten in der Wurstekammer reifen und trocknen.

Ein Teil der Wurstmasse wurde in Dosen gefüllt, verschlossen und beschriftet. Die Dosen legte man in Zinkwannen oder Körbe und zog sie mit dem Handwagen dorthin, wo es eine Maschine gab, die die Dosen luftdicht versiegeln konnte. Diese Maschinen pressten Dosen- und Deckelrand rotierend aufeinander und versteiften die umgebogene Kante. Anschließend kamen die Dosen, jetzt wieder zu Hause, in den Kessel. Sie wurden zwei bis drei Stunden gekocht, um alle Keime abzutöten. Währenddessen wurden alle benötigten Gerätschaften gereinigt und zur Abholung bereitgestellt für die nächste Hausschlachtung.

Schlachtefest (Signatur li_1264)

Die Kinder nahmen am Schlachtefest teil. Oft trieb man Späße mit ihnen. Blies die Schweineblase als großer Luftballon auf oder ließ die imaginäre Sülzepresse mit dem Handwagen holen.

Mit einem gemeinsamen Schlachteessen am Abend ging der arbeitsreiche Tag zu Ende. Dabei kamen Mett und Kesselfleisch auf den Tisch.

Am nächsten Tag wurden die letzten Würste in der Wurstekammer aufgehängt.
Die Heimatvertriebenen brachten den Brauch nach Hardegsen mit, einige Wurstsorten zusätzlich zu räuchern. Sie bauten sich am Schuppen oder auf dem Hausboden kleine Räucheröfen, die mit Tannen-, Fichten- oder Buchenspänen betrieben wurden. Sie gaben auch bei manchen Wurstteigen Knoblauch hinzu, was die Urhardegser nicht kannten. So kamen neue Geschmacksvarianten in den Ort.

Eine sehr ausführliche Beschreibung der Wurstherstellung beim Hausschlachten gibt Wilhelm Heise aus Ilsede in seinem Beitrag »Das Schlachtefest des kleinen Mannes in den 1950er Jahren«.

Lektorat Sus Hösel