Stadtwappen HardegsenHardegser Fotomuseum

Übersichtskarte

Alle Bilder zu Thema anzeigen

Im Gänsemarsch durch die Stadt

von Andreas Lindemeier

Bis in die 1950er-Jahre lebten viele Hardegser Einwohner_innen in sehr bescheidenen Verhältnissen. Zur Selbstversorgung hatten sie einen Garten außerhalb der Innenstadt und sie hielten sich im, am und hinter dem Wohnhaus Tiere: Esel, Ziegen, Schweine, Hühner und Gänse. Einige wenige hatten sogar einen Ochsen als Zugtier oder eine Milchkuh. Der Zugang zu den Stallungen im Hinterhof der beengten Bebauungen erfolgte häufig über den Flur des Wohnhauses.

Gänseanger (Signatur li_1195)

Der Ziegenhirte in der Langen Straße Höhe früheres Rathaus

Vom Frühjahr bis in den Herbst wurden Schweine, Ziegen und Gänse von Hirt_innen vor die Stadt getrieben, damit die Tiere dort Grasen konnten. Die Ziegen kamen zum Wienberg, die Schweine in die Stecklersbeeke und die Gänse in die Paschenburg.

Gänseanger (Signatur sch_0166)

Richtung Molkerei wurden die Ziegen an den Wienberg getrieben

Gänseanger (Signatur te_0540)

Der Schweinhirt aus der Stecklersbeeke kommend zurück in die Stadt

Bis zum Zweiten Weltkrieg organisierte eine Gänsemagd den Weg des Federviehs zum Gänsestall in der Paschenburg und zurück. Er befand sich zwischen dem unteren Weg In der Paschenburg und der Espolde auf dem heutigen Grundstück der Familie Gaar. Der Schöttelbach lief durch die Gänseweide, Tränke und Schwimmbad in einem.

Gisela Meyer, geb. Pickel, schreibt über Frau Nießler, die Anfang des 20. Jahrhunderts als Gänsehirtin tätig war:

»Die ‚Nießlersche› ging morgens in ihren Gummigaloschen und hochgegürteten Kleid, Rute und Glocke die Lange Straße hinauf. Beim Glockenzeichen jagten die Leute ihre Gänse aus dem Stall, die dann jeweils im Familienverband hinter der Hirtin herwatschelten, zuerst die Lange Straße hinunter. Manchmal begegneten ihr Ochsen- und Pferdegespanne oder Kutschwagen. Aber die Nießlersche brachte die Gänse immer sicher aus der Stadt heraus, die Paschenburg hinunter zum Gänsestall, wo sich die Tiere den ganzen Tag auf der Wiese und in der Beeke tummeln konnten…. Bevor die Gänsehirtin ihr Amt übernahm, wahrscheinlich vor 1900 – wurden die Gänse zum Feuerteich (heutiges Freibad) gebracht.

Die Tiere, die nicht weit vom Gänsestall ihr Zuhause hatten, z.B. auf dem Cölnhöfen, erhoben sich nach dem Herauslassen aus dem heimischen Stall in die Lüfte und fanden den Weg zum Gänseanger allein. Die Besitzer schauten nur zum Fenster heraus, um sicherzustellen, dass die Richtung stimmte.

Das blieb so bis ca. Mitte der 1950er Jahre.

Die Schweinehütung wurde 1936 eingestellt, weil wegen der Verunreinigung der Straßen nach jedem Austreiben ein weiterer Mann zur Reinigung eingesetzt werden musste.« (1)

Gänseanger (Signatur li_1194)

Blick auf den alten »Gänsestall, ca 1920, Er befand sich zwischen dem Weg »In der der Paschenburg« und der Espolde. Die Schöttelbeeke lief durch den Gänseanger, Tränke und Schwimmbad in einem für das Federvieh.

In ihren Lebenserinnerungen erinnert sich Anni Scholz, geb. Schrader:

»Bis ungefähr 1939 fand in Hardegsen durch die Innenstadt ab späten Frühling bis zum Martinstag der Gänsetrieb statt.

Frau Fischer, eine kleine Frau mit langem Stock und einer Glocke ausgerüstet, sammelte alle Gänse vom Gießeturm bis zur Kreuzung Hinterstraße/Schulstraße/Stubenstraße ein. Sie brauchte sie eigentlich nicht aufsammeln, die Gänse kamen auf Glockenruf als Trupps oder Familienbande aus allen Ställen und Häusern und gingen – mit Frau Fischer im Pulk zur Gänseweide in die Paschenburg.

Laut schnatternd begrüßten sie sich und die Schar wurde immer größer. Manche waren markiert mit farblichem Fleck am Hals oder Flügeln. Doch das wäre gar nicht nötig gewesen, alle, die zusammengehörten, blieben auch beisammen und keine einzige Gans ging verloren oder ging abseits. Sie kannten ihren Weg und allein gingen sie in die Ställe zurück.

Es mochten wohl 100-150 Gänse gewesen sein, eine weiße, schnatternde Woge. Frau Fischer schloß morgens um ½ 8 das Tor der Gänseweide auf und abends um 6 Uhr ließ sie wieder heraus. Sie standen dann schon alle dicht gedrängt und warteten auf den Heimweg. Wenn das Tor ihres Zuhauses nicht auf war, blieben sie so lange vor der Tür stehen, bis ihnen aufgemacht wurde. Zu Hause bekamen sie dann ihre Kraftnahrung und morgens ging es wieder auf die Weide. Bis Martinstag (11.November).« (2)

(1) Gisela Meyer, Neues aus Alt-Hardegsen, veröffentlicht 1992

(2) Anni Scholz, Lebenserinnerungen, unveröffentlichtes Manuskript, Hardegsen 1985

Lektorat Sus Hösel